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Aug 07

Angriff auf das Kirchenasyl? Diakon prangert neue Abschiebe-Frist für Flüchtlinge an

Die Fälle von Kirchenasyl sind im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. dpa/Axel Heimken/Illustration

Für viele Flüchtlinge, denen die Abschiebung droht, ist es das letzte Mittel: das Kirchenasyl. Darunter sind viele, denen eine Rückführung in einen Dublin-Staat droht – also in das Land, das die Flüchtlinge zuerst betreten haben. In diesen Fällen greift die sogenannte „Rückführungsfrist“.

Beispiel: Deutschland stellt im Rahmen der Dublin-III-Verordnung einen Antrag an Griechenland, einen Flüchtling zurückzunehmen. Ab dem Tag, an dem Griechenland den Antrag akzeptiert, beginnt die „Rückführungsfrist“. Diese beträgt sechs Monate, in der die Behörden die Person nach Griechenland bringen müssen. Nach Ablauf dieser Frist geht die Zuständigkeit vom Dublin-Staat auf Deutschland über. Um dieses halbe Jahr zu überbrücken und der Abschiebung zu entgehen, begaben sich 2017 bundesweit über 870 Menschen in das Kirchenasyl.

Gewährt eine Kirchengemeinde einem Flüchtling Kirchenasyl, muss sie gemäß einer Vereinbarung zwischen Innenministerium und der katholischen und evangelischen Kirche aus dem Jahr 2015 ein begründetes Dossier an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) senden. In diesem wird geschildert, warum der Flüchtling nicht in den Dublin-Staat zurückkehren kann. Erkennt die Behörde einen Härtefall, wird die Person in der Regel nicht abgeschoben.

Bei einem negativen Bescheid des Dossiers war es jedoch bisher gängige Praxis, dass der Betroffene einfach so lange im Kirchenasyl blieb, bis die sechs Monate um waren. Damit waren die Dossierverfahren de facto ausgehebelt, die Menschen wurden nicht abgeschoben – entweder wegen eines positiven Dossiers oder durch den Ablauf der Frist.

Im Juni hat die Innenministerkonferenz beschlossen, das Verfahren zu ändern. Menschen, die das Kirchenasyl trotz eines negativen Dossierbescheids nicht verlassen, galten bislang nicht als „flüchtig“ – seit 1. August schon. „Flüchtig“ bedeutet: Bei Menschen, die sich der Rückführung in den zuständigen Dublin-Staat entziehen, wird die Frist, in der eine Abschiebung möglich ist, von sechs auf 18 Monate verlängert. Auf Anfrage von FOCUS Online teilt das Bamf mit: „Bund und Länder respektieren die Tradition des Kirchenasyls, halten jedoch zum Erhalt des Dossierverfahrens eine Änderung der bisherigen Praxis für erforderlich.“

Geitner: „Attacke auf das Kirchenasyl“

Doch dadurch werde „das Kirchenasyl attackiert“, sagt David Geitner, Diakon in Ottensoos bei Nürnberg, im Gespräch mit FOCUS Online. Dabei sei diese neue Regelung juristisch überhaupt nicht haltbar, erklärt er, und verweist auf ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 3. Mai dieses Jahres.

Die Richter urteilten, dass „die Sachlage […] bei einer sich im Kirchenasyl befindlichen Person, deren Aufenthalt bekannt ist, nicht mit jener vergleichbar [ist], die bei einer flüchtigen Person vorliegt“. Das bedeutet aus Sicht von Diakon Geitner: Eine Person im Kirchenasyl ist nicht flüchtig. Daraus ergebe sich eigentlich, dass auch die Frist, in der abgeschoben werden darf, nicht ohne weiteres von sechs auf 18 Monate verlängert werden kann, so Diakon Geitner.

Starke Belastung für die Flüchtlinge

Für die Menschen im Kirchenasyl sei die Verdreifachung der Frist eine starke Belastung, sagt Geitner. Er bemerke bei den beiden syrischen Flüchtlingen, die in seiner Gemeinde Schutz gefunden haben, eine Veränderung: „Sie ziehen sich immer mehr zurück, sind verschlossen und hadern damit, dass sie noch mal ein Jahr warten müssen.“ Menschen im Kirchenasyl dürfen nicht in die Öffentlichkeit, da sie dort von den Behörden aufgegriffen werden könnten. Sie sind eingesperrt, wenn auch ohne Schloss und Riegel.

Das Bamf sieht sich trotz des anderslautenden Gerichtsurteils im Recht und verweist seinerseits auf „Urteile und Beschlüsse zahlreicher Verwaltungsgerichte“. Diese besagen laut der Behörde, dass Menschen, die trotz eines abgelehnten Asylantrags im Kirchenasyl bleiben, flüchtig seien.

Bamf sieht Häufigkeit des Kirchenasyls als Problem

Aus der Antwort des Bamf auf die FOCUS-Online-Anfrage geht hervor, dass das Flüchtlingsamt die Häufigkeit der Fälle von Kirchenasyl als Problem sieht: Das Kirchenasyl solle eigentlich nur „in begründeten Ausnahmefällen zur Vermeidung von besonderen humanitären Härten“ angewendet werden. Aus Sicht des Flüchtlingsamts ist dies offensichtlich nicht der Fall.

Bei der Vereinbarung zwischen Kirche und Innenministerium habe außerdem Einvernehmen dazu geherrscht, dass das Kirchenasyl nicht der systematischen Kritik am Dublin-System dienen dürfe. „Auch stellt das Kirchenasyl kein eigenes Rechtsinstitut dar, sondern wird als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert.“ Ein unverhältnismäßiger Gebrauch gefährde diese Tradition, so das Bamf in einer schriftlichen Stellungnahme.

Bamf: zu viele Fälle von Kirchenasyl?

Eine Auswertung der Kirchenasylfälle der letzten Jahre habe ergeben, dass eine Änderung notwendig sei, „damit Sinn und Zweck des vereinbarten Abkommens erreicht werden“. Im Klartext: Das Bamf kritisiert, dass das Kirchenasyl zu viele Abschiebungen in Dublin-Staaten verhindert hat. Durch die neue Frist von 18 Monaten versucht das Bamf offenbar, die Fälle zu reduzieren, in denen Flüchtlinge die Zeit einfach aussitzen, in der sie nicht abgeschoben werden können.

Wenn sich die Kirchengemeinden an die von Kirchen und Innenministerium vereinbarten Vorgaben hielten, unter anderem an die fristgerechte Einreichung des Dossiers, gelte jedoch immer noch die sechsmonatige Frist, so das Bamf.

Neue Regelung dürfte gar nicht angewendet werden

Diakon Geitner widerspricht: Bei den beiden Syrern, die er im Kirchenasyl betreut, habe man sich an alle Vorgaben gehalten, trotzdem gelten die 18 Monate. „Es gibt keine andere Lösung für die beiden. Sie wollen und können nicht zurück nach Italien, sie haben Familie in Deutschland. Und nach Syrien können sie auf gar keinen Fall zurück – das Kirchenasyl ist die einzige Möglichkeit“, sagt er.

Erstaunlich an diesem speziellen Fall ist die Tatsache, dass die ab 1. August gültige Regelung zur Frist für Abschiebungen in diesem Fall überhaupt angewendet wird: Die Flüchtlinge sitzen schon seit Februar im Kirchenasyl, sie dürften von der neuen Praxis also eigentlich überhaupt nicht betroffen sein, erklärt Geitner. „Vorauseilender Gehorsam“, sagt er. Anders könne er es sich nicht erklären, dass die beiden Syrer in Ottensoos 18 Monate lang abgeschoben werden können.

Die beiden Syrer wollen nun gegen diese Entscheidung klagen, so der Diakon, aber: Das Bamf stelle sich quer. „Wir warten seit vier Wochen auf den Bescheid vom Bamf, dass die Frist verlängert wurde.“ Mündlich habe das Flüchtlingsamt gegenüber einem Anwalt zwar erklärt, dass die 18 Monate gelten würden, ein entsprechendes Schreiben fehle jedoch. „Und ohne etwas Schriftliches können wir nicht vor Gericht gehen“, sagt Geitner und lacht freudlos auf. „Galgenhumor“, sagt er. „Anders hält man das ja nicht mehr aus.“

Quelle: Focus

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