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Okt 05

Einwanderungsgesetz vermischt Asyl und Arbeitsmigration

Die Bundesregierung verspricht sich vom geplanten Fachkräfte-Einwanderungsgesetz Schubkraft für das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Die Regeln für den Zuzug sind klar umrissen.
Quelle: Reuters

Das Einwanderungsgesetz der Regierung weitet die Migration auch in Branchen aus, in denen kein Fachkräftemangel herrscht. Sogar die Vorrangprüfung zugunsten Einheimischer fällt weg. Abgelehnte Asylbewerber können Abschiebungen leichter vermeiden.

Das geplante Einwanderungsgesetz der Bundesregierung geht weit über sein Ziel hinaus, den Fachkräftemangel zu lindern: Es erleichtert generell die legale Zuwanderung für nicht europäische Fachkräfte. Und zwar nicht nur in den Branchen, in denen es einen Mangel gibt.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) weist seit Langem in ihren halbjährlichen Engpassanalysen den von einigen Unternehmerverbänden und Politikern erweckten Eindruck zurück, es mangele in Deutschland generell an Fachkräften. Ihre aktuelle Untersuchung aus dem Juli fasst die BA so zusammen: „Es zeigt sich nach der Analyse der Bundesagentur für Arbeit ein Fachkräftemangel in einzelnen technischen Berufsfeldern, in Bauberufen sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen.“ In den meisten dieser derzeit 33 Engpassberufe habe die Nachfrage nach Personal deutlich angezogen, „von einem generellen Fachkräftemangel in Deutschland kann aber weiterhin nicht gesprochen werden“.

Demnach waren Mitte 2018 zwar 330.000 Stellen für Fachkräfte, also Personen mit Berufsausbildung, ausgeschrieben. Allerdings kamen auf jede dieser offenen Stellen fast drei arbeitslose Fachkräfte in Deutschland. Nicht aufgeführt in der BA-Analyse sind die Millionen gut ausgebildeten Arbeitslosenaus anderen EU-Staaten, die heute schon unbeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben.

Trotz dieser großen Zahl an arbeitslosen Fachkräften im eigenen Land und in der EU hat die Bundesregierung laut ihren kürzlich vorgestellten Eckpunkten für das Einwanderungsgesetz beschlossen: Die sogenannte Arbeitsmarkt-Vorrangprüfung entfällt grundsätzlich für alle Fachkräfte weltweit. Es wird also künftig nicht mehr vor der Jobzusage geprüft, ob ein arbeitsloser Deutscher oder ein anderer EU-Bürger einen Arbeitsplatz haben möchte. Nur in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit wird es dem Eckpunktepapier zufolge „die Möglichkeit geben“, die Vorrangprüfung wieder einzuführen.

In den vergangenen Jahren wurde diese Vorrangprüfung schon für Akademiker und solche Fachkräfte abgeschafft, die in Mangelberufen arbeiten; also jenen Sparten, in denen die BA einen Fachkräftemangel festgestellt hat. Auch für Asylbewerber wurde die Vorrangprüfung in den meisten Arbeitsamtsbezirken ausgesetzt.

Wenn die von der Bundesregierung beschlossenen Eckpunkte in Gesetzesform vom Bundestag verabschiedet werden – was wahrscheinlich noch in diesem Jahr passiert –, darf jeder Mensch weltweit, der eine Berufsausbildung oder eine vergleichbare Qualifizierung hat, eine Arbeitsstelle in Deutschland antreten. Die Arbeitsagentur muss dann nur noch prüfen, ob der geplante Arbeitsvertrag branchenüblich ist.

Der zweite Punkt, an dem die Regierung über ihr Ziel der Linderung des Fachkräftemangels hinausschießt: Künftig dürfen Arbeitsmigranten mit Ausbildung schon einreisen, bevor sie einen Arbeitgeber gefunden haben. So wie heute schon Akademiker können sie dann eine Aufenthaltserlaubnis für sechs Monate erhalten, um sich hier erst auf die Suche nach einem Arbeitgeber zu machen. Wohlbemerkt gilt dies für alle Migranten mit Ausbildung – nicht nur für solche mit einer Qualifikation in einem Mangelberuf. Bedingung soll allerdings sein, dass sie geringfügige Deutschkenntnisse vorweisen und keine Sozialleistungen beantragen dürfen. Letzteres soll dadurch sichergestellt werden, dass sie vor der Einreise die Sicherung ihres Lebensunterhalts nachweisen müssen.

Auf die Frage eines Journalisten, wie das geschehen solle, antwortete Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD): Es gebe unterschiedliche Möglichkeiten – entweder könne der Migrant selbst ausreichendes Vermögen nachweisen, oder jemand anders müsse für ihn bürgen. Er selbst habe sich schon einmal an einer solchen Bürgschaft beteiligt, erzählte Heil: Als in den frühen 2000er-Jahren eine Schülerin aus einem Balkanstaat abgeschoben werden sollte, habe er dies mit Bekannten verhindert. Er habe einen Verein mitgegründet, der für die Unterhaltssicherheit gebürgt habe, bis das Mädchen ihr Abitur abgeschlossen hatte.

Schon im schwarz-roten Koalitionsvertrag deutete sich im Februar das Abrücken der Union von ihrer früheren Position an. Bis dahin hatte sie immer darauf beharrt, dass Arbeitsmigranten – abgesehen von besonders gefragten Berufsgruppen – vor der Einreise einen Arbeitgeber gefunden haben mussten. Im Vertrag wurde bereits schwächer formuliert, dass es weiterhin „maßgeblich“ sein solle, dass ein zuwanderungswilliger Nichteuropäer in der Regel einen Arbeitsplatz vor der Einreise nachweisen muss.

Arbeitskräften aus Engpassberufen, also jenen, in denen die BA einen Fachkräftemangel feststellt, will die Bundesregierung jetzt zudem „bei ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen auch ohne formalen Abschluss einen Arbeitsmarktzugang ermöglichen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben“, wie es in den Eckpunkten heißt.

Besonders problematisch an dem Beschluss der Bundesregierung ist die weitere Vermischung von Asyl und Arbeitsmigration: Die vorige schwarz-rote Koalition hatte 2016 erstmals abgelehnten Asylbewerbern einen gesetzlichen Anspruch auf Duldung für die gesamte Ausbildungsdauer von drei Jahren ermöglicht. Inklusive einem anschließendem Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre, um im erlernten Beruf zu arbeiten.

Die Regierung weitet diese sogenannte 3+2-Regelung nun aus: So werden in die missbrauchsanfällige Regelung künftig auch „Ausbildungen in Helferberufen einbezogen“. So könnten abgelehnte Asylbewerber schon durch die Aufnahme einer einjährigen Helferausbildung der Abschiebung entgehen. Das betrifft etwa Pflege- und Bauhelfer oder Auszubildende zur Kurierfachkraft.

Im Anschluss an diese Regelung gelten dann die allgemeinen Bestimmungen der Arbeitsmigration: Wer nicht straffällig wird und weiter in Lohn und Brot steht, erhält eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Nach insgesamt fünf Jahren Berufstätigkeit kann die Niederlassungserlaubnis beantragt werden und nach insgesamt acht Jahren die Staatsbürgerschaft.

Zudem sollen mit dem neuen Gesetz auch Geduldete ohne jede Ausbildung einen „verlässlichen Status“ erhalten, wenn sie durch ihre Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern und „gut integriert“ sind. Abgelehnter Asylantrag hin oder her.

Quelle: welt

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