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Jul 03

HIV- Migration: Zuwanderung aus Subsahara-Afrika könnte zunehmen

Bis 2050 sollen mehr als 40 Prozent der extrem armen Menschen allein in Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo leben, ergab eine Prognose der Gates-Stiftung. Das hat auch Auswirkungen auf Deutschland.
Quelle: WELT/ Sebastian Struwe

Eine neue Studie kommt zu dem Schluss, dass die Zuwanderung aus Subsahara-Afrika künftig wieder zunehmen könnte. Vor allem die demografische Entwicklung verschärfe den Druck. Für die EU sei die Migration „nur bedingt steuerbar“.

Die Zahl der Asylbewerber aus Subsahara-Afrika ging zuletzt deutlich zurück. So beantragten im vergangenen Jahr noch rund 22.000 Nigerianer in einem EU-Staat Asyl – das waren 17.000 weniger als im Vorjahr. Aus Eritrea kamen 2018 rund 9000 Schutzsuchende weniger als 2017, die Zahl der Asylbewerber aus Guinea sank im gleichen Zeitraum um 5000. Glaubt man Forschern des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, könnte sich dieser Trend allerdings bald umkehren.

In einer aktuellen Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, identifizieren sie eine Reihe von Faktoren, die „für eine mittelfristig steigende Zuwanderung aus Subsahara-Afrika in die EU“ sprechen. Die Wissenschaftler um den Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz wollten herausfinden, wie sich die Zuwanderung Richtung Europa in den nächsten Jahren insgesamt entwickeln könnte – nicht nur aus Afrika, sondern aus verschiedenen Teilen der Erde.

Dafür haben sie Faktoren analysiert, die Migration begünstigen oder hemmen könnten: die demografische Entwicklung in den einzelnen Regionen zum Beispiel, die Bildungssituation, die wirtschaftliche Lage, Umweltfaktoren oder politische Konflikte. In Ländern südlich der Sahara sei der Migrationsdruck demnach am größten.

Verantwortlich dafür sei insbesondere die demografische Entwicklung. Bis zum Jahr 2030 werde die Bevölkerung in Subsahara-Afrika von derzeit 1,1 Milliarden auf 1,4 Milliarden Menschen anwachsen. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Jobs reiche aber bei Weitem nicht aus, um die Nachfrage nach Arbeitsplätzen zu decken.

Vielerorts drohe ein „demografisches Desaster“, schreiben die Wissenschaftler. Der „große Jugendüberhang“ könne zu „Frustration unter der jungen Bevölkerung, zu sozialen Unruhen und politischer Instabilität führen“. In der Folge gebe es „mehr Migration, denn junge Erwachsene stellen jene Gruppe, die sich am häufigsten auf internationale Wanderschaft begibt“.

Vor allem das „Wohlstandsgefälle zu Europa“ mache eine Migration dorthin erstrebenswert. In Subsahara-Afrika liege das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei 3500 Dollar, in der EU aber bei 37.200 Dollar. Auch die wirtschaftliche Entwicklung einiger afrikanischen Staaten erhöhe das Migrationspotenzial. Denn dadurch steige die Zahl der Menschen, die überhaupt über die Mittel verfügen, um zu migrieren.

Die Daten, auf die sich die Forscher beziehen, sind nicht neu; sie haben sie aus einer Vielzahl von Studien und statistischen Erhebungen zusammengetragen. Die daraus resultierenden Schlussfolgerungen seien „subjektive Einschätzungen des Berlin-Instituts“, die „keinen Anspruch erheben, eine sichere Prognose zu geben“.

Umwelt- und Klimafaktoren verschärfen Druck

Es finden sich deswegen auch keine Aussagen darüber, wie groß die Zahl der Menschen sein könnte, die sich konkret nach Europa auf den Weg machen werden. Dies genau vorauszusagen sei unmöglich, auch weil die Entwicklung politischer Konflikte nicht genau abgesehen werden könne. Zu berücksichtigen sei auch, dass nur ein Bruchteil der Menschen, die einen Migrationswunsch hegen, tatsächliche Vorbereitungen zur Auswanderung unternehme.

Umwelt- und Klimafaktoren verschärfen nach Ansicht der Wissenschaftler allerdings den Druck. Durch höhere Temperaturen und „extreme Hitzewellen, die den Wassermangel in ohnehin trockenen Gebieten verschärfen werden“, sei die „Existenz von Millionen von Kleinbauern“ bedroht. Viele von ihnen begäben sich „notgedrungen auf Wanderschaft“. Diese führe zunächst in Nachbarregionen und in Städte. Dort könne es infolgedessen aber zu „Verteilungskonflikten“ kommen, die in eine „internationale Migration“ münden könnten.

Steuerungsmöglichkeiten für die EU sehen die Studienautoren nur bedingt. Zwar hätten „Abschottungs- und Grenzsicherungsmaßnahmen“ zuletzt zu einem Rückgang der irregulären Migration geführt. Künftig sei zu erwarten, dass sich die EU-Länder noch stärker für Grenzkontrollen und Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern einsetzen.

In der Ausweitung legaler Migrationswege, wie zum Beispiel das voraussichtlich Anfang 2020 in Kraft tretende deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz, sehen die Forscher hingegen „kein ausreichendes Ventil“, um irreguläre Migration zu unterbinden. „Über Abschottung hinaus sind die heute dominierenden Migrationsbewegungen aus Afrika somit nur bedingt steuerbar.“

Geringer schätzen die Forscher das Zuwanderungspotenzial aus anderen Teilen der Erde ein. In Nordafrika und im Nahen Osten hätten viele Länder bereits „eine günstige Altersstruktur und einen gestiegenen Bildungsstand“. Dies könne zu einem wirtschaftlichen Aufstieg innerhalb der Region führen und einen Rückgang der Auswanderung zufolge haben. Da die Region allerdings zu den politisch instabilsten der Welt zähle, sei zu erwarten, dass auch künftig Menschen wegen kriegerischer Auseinandersetzungen Richtung Europa fliehen.

Aus dem postsowjetischen Raum oder aus Lateinamerika und der Karibik erwarten die Forscher keine deutliche Zunahme der Zuwanderung. Für Personen aus Lateinamerika sei weiterhin Nordamerika aufgrund der geografischen Nähe das wichtigste Wanderungsziel, auch wenn die aktuelle US-Regierung einen strikteren Migrationskurs fahre. Eine Ausnahme bilde Venezuela, das zuletzt wegen der anhaltenden politischen Krise vermehrt Menschen verließen – auch in Richtung EU.

Interessant ist, was die Autoren der Studie für die Zuwanderung aus Asien vorhersagen. Zwar gebe es auch dort eine hohe Zahl auswanderungswilliger Personen, etwa auf den Philippinen. Diese Menschen seien vergleichsweise gut ausgebildet, könnten also potenziell als Fachkräfte in die EU kommen. Allerdings sei Europa „bei Weitem“ nicht das bevorzugte Ziel dieser Migranten.

„Immer mehr Weltregionen erleben eine Alterung ihrer Gesellschaften und einen Rückgang des Arbeitskräftepotenzials“, so Studienautor Reiner Klingholz. Zuwanderung sei eine Möglichkeit, dem zu begegnen. Dabei entstehe „ein wachsender Wettbewerb, in dem die USA, Kanada oder Australien bisher besser aufgestellt sind als die Länder der EU, wegen der Sprache und weil sie eine lange Einwanderungserfahrung haben“. Wenn die EU hier mithalten wolle, brauche sie „internationale Anwerbeplattformen“ und eine klare Politik, die genau erkläre, welche Kräfte gebraucht würden.

Quelle: Welt

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