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Nov 17

„Merkel: Eine Bilanz“ Gescheitert auf der ganzen Linie

Merkels langer Schatten: die CDU ist unter ihrer Führung massiv nach links gerutscht.
Bild: DPA

Angela Merkel zieht sich auf Raten aus dem politischen Geschäft zurück. Als CDU-Chefin und Kanzlerin hat sie Deutschland maßgeblich geprägt. Redakteure und Autoren dieser Zeitung ziehen eine persönliche Bilanz. NWZ-Nachrichtenchef Alexander Will rechnet mit dem politischen Erbe der Dauerkanzlerin ab.

Oldenburg So viel Verzweiflung war selten unter deutschen Eliten: Angela Merkel zieht sich aus der Politik zurück! Wer geglaubt hat, dieses Segment der deutschen Bevölkerung hätte inzwischen ein rationales Verhältnis zu politischen Galionsfiguren entwickelt, sieht sich getäuscht. In der „Zeit“ barmt die ostdeutsche Autorin Jana Hensel: „Mein Deutschland-Gefühl, es ist in Wahrheit ein Angela-Merkel-Gefühl. Ich bin in dieses Gefühl eingezogen wie andere in ein Haus.“ Martin Walser (91) kann noch schwülstiger schwurbeln: Er fühlt sich „verführt von ihr und der stillen Wucht ihrer Schönheit“. Für die „Kulturschaffenden“ warnt die Schauspielerin Maria Furtwängler, wir würden Merkel noch „unglaublich vermissen“.

Nein, werden wir nicht. All diese schwüle Gefühligkeit erklärt vielmehr, wo der Spitzname „Mutti“ herkommt und was es mit dem spätestens seit 2010 herrschende Merkel-Biedermeier auf sich hat: Es ist das Einsinken und willige Akzeptieren matriarchalischer Bevormundung bei gleichzeitigem politischem Abenteurertum.

Dabei ist Merkel gescheitert. Sie hat dieses Land so tief gespalten, wie kein Kanzler vor ihr. Und nein – sie ist eben nicht die ehrliche Haut, die man jetzt aus ihr machen will. Mutti Merkels politischer Mehltau, also die perfekte Simulation von Sicherheit, Beständigkeit und Zuverlässigkeit, gepaart mit Begabung zur politischen Intrige und kräftigen Ellenbogen, bewirkte, dass die politische Öffentlichkeit ihre so radikalen wie absurden Wenden und politischen Irreführungen immer wieder hinnahm. „Sie kennen mich!“, warb Merkel 2013 im Wahlkampf. Wirklich? Nein! Diese Frau kannte niemand. Sie war und ist unberechenbar. Das zeigen einige wenige Beispiele.

Jede Menge Wenden

2003, Leipziger Parteitag: Merkel gibt die liberale Reformerin, eine Politikerin, die auf das Individuum setzt: nur noch drei Steuersätze anstelle der Progressionstarifs, Kopfpauschale bei der Krankenversicherung sind die Ziele. 2018: Merkel greift mit vollen Händen in die Sozialstaatskiste und verteilt. Da sind Mindestlohn, „Mietpreisbremse“, Mütterrente. Gesellschaftspolitisch geht es ohnehin nur noch links herum. Im September 2013 log Merkel bei Anne Will: „Mit mir wird es keinen Maut geben.“ Ein knappes Jahr später hieß es dann: „Die Maut steht im Koalitionsvertrag, und sie wird kommen.“ 2010 rief Merkel den Delegierten des Deutschlandtages der Jungen Union zu: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!“ 2015 führte ihr politisches Handeln zu ungesteuerter Masseneinwanderung, die eben diese richtige Erkenntnis völlig ignorierte.

Hausgemachter Kontrollverlust

Einwanderung ist zum Sinnbild des Merkel‘schen Scheiterns geworden – und letztlich auch der Grund ihres Sturzes. Erst jüngst entlarvte die „Welt“ die immer wieder bemühte These als Lüge, Grenzschließungen seien 2015 rechtlich nicht möglich gewesen. Die Zeitung belegte eindrucksvoll, dass es hier nur um politischen Willen ging. Der Steuerungs- und Kontrollverlust wurde hingenommen, und er ging von Merkels Entscheidungen aus. Das ganze paarte sich mit grenzenloser Naivität. Da gingen Selfies mit Einwanderern um die Welt, die bewirkten, dass Menschen die Koffer packten, die zuvor nie daran gedacht hatten. Hunderttausende strömten ungesteuert nach Deutschland. Die Behörden verloren die Kontrolle, nur das linke juste milieu war begeistert. Ein diffuses Bauchgefühl zerstörte rationale politische Analyse – zuerst bei der Kanzlerin. Gesinnungsethik schlug Verantwortungsethik.

Im Ausland rieb man sich dagegen die Augen. Der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees nannte Deutschland einen „Hippie-Staat“. Niemand kann die Kosten dieser Politik einigermaßen seriös abschätzen. Fast eine Million nicht- und unterqualifizierter Einwanderer sind nun im Land. Die meisten werden nicht mehr gehen. Klar ist hingegen, dass diese Politik, dass Merkels Politik direkt für die auf 2015 folgenden Ereignisse in Berlin, Köln oder Freiburg verantwortlich ist.

Gelöst ist übrigens entgegen der Legende nichts. Alle Ideen, wie man „Fluchtursachen bekämpfen“ könnte, haben nichts bewirkt. Die illegale Einwanderung über das Mittelmeer liegt sogar noch deutlich über dem Niveau vor der Asylkrise. Auf dem Balkan stauen sich erneut Einwanderer. Nun sollen jährlich 200 000 Menschen im Land aufgenommen werden. Das ist eine Großstadt. Keine Antworten gibt es auf die Frage, wie das finanziell und mental von den Deutschen auf Dauer gestemmt werden kann. „Nun sind sie halt da“, würde Merkel wahrscheinlich sagen, so wie bereits 2015. Es ist ihr schlicht egal. Die Kanzlerin hätte Milton Friedmann lesen sollen, der die einfache Wahrheit schon 1977 aussprach: Man kann entweder offene Grenzen oder einen Wohlfahrtsstaat haben.

Gespaltenes Land, gespaltenes Europa

Das alles hat massive Folgen. Im Inneren ist das Land gespalten wie nie. Die Politik der Kanzlerin hat das Parteiensystem zerstört, die Erfolge der AfD erst möglich gemacht. Merkel ist das beste Pferd im Stall dieser Partei. Gespalten hat die einsame Merkel-Politik auch Europa. Deutschland wird in Osteuropa wieder als Schulhofschläger wahrgenommen, der seine politischen und moralischen Maßstäbe anderen aufzwingen will – was so ja auch der Realität entspricht.

In diesem Zusammenhang sind die angeblichen Rettungen – wahlweise des Euros oder Griechenlands – weitere Merkel-Legenden. In Griechenland ist nichts gerettet. Das Problem wurde nur durch absurd lange Rückzahlungsfristen und Niedrigzinsen in die Zukunft verlagert. Der Euro leidet noch immer an seinem Grundproblem: Länder mit verschiedener ökonomischer Stärke müssen sich eine Währung teilen. Dafür wurden Rettungspakete unter dubiosen Umständen durch den Bundestag gepeitscht, und die Merkel-Regierung war maßgeblich an der vertragswidrigen Staatsfinanzierung durch die Zentralbank beteiligt. Nichts anderes sind die Anleihenkäufe der EZB. Gleichzeitig enteignet diese durch ihre Niedrigzinspolitik und das Anheizen der Inflation die Sparer. All das schert die Kanzlerin nicht. Ohnehin sind die Merkel-Deutschen nicht die Superreichen der EU. Beim Finanzvermögen liegen sie auf dem 12. Rang, noch hinter Ländern wie Malta, Portugal und Spanien, beim Wohneigentum gar auf dem letzten Platz.

Führend nur bei Strompreisen

Dafür führt Deutschland auf anderem Gebiet: Hier ist der Strom am teuersten. Das ist eine Folge der Energiewende, die auf dem Rücken der Verbraucher durchgedrückt wurde. Die Folgen: Im vergangenen Jahr gab es Stromabschaltungen in fast 350 000 Haushalten. Inzwischen zeigt sich auch, dass dieses Merkel’sche Prestigeprojekt massive Pferdefüße hat: Die reduzierten deutschen Kapazitäten können wohl in absehbarer Zeit nicht durch Importe gedeckt werden. Auch für eventuelle Blackouts wären also die Dankesbriefe an die Kanzlerin zu senden, unter deren Ägide das Experiment seinen Anfang nahm.

Unterdessen vergammelt in Deutschland die Infrastruktur, und die Kanzlerin redet von der Digitalisierung als „Neuland“. Ernsthaft? Regionen wie das Baltikum, ganz zu schweigen von Japan oder den USA, sind dort längst angekommen. Es ist angesichts dieser Rückständigkeit im Denken und der Wahrnehmung kein Wunder, dass der digitale Strukturwandel in diesem Land unter den diversen Merkel-Regierungen regelrecht verschlafen wurde.

Wirtschaftsboom? Glück gehabt!

Die Kanzlerin hatte schlicht Glück, dass sie in ihrer Regierungszeit mit keiner schweren, strukturellen Wirtschaftskrise konfrontiert wurde. Sie profitierte zudem von den Reformen ihres Vorgängers Gerhard Schröder, der als Kanzler wirklich für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gesorgt hatte. Wenn jetzt die Ökonomie in die Knie geht, dann Gnade den Deutschen Gott. Einer Rezession ist das Land wehrlos ausgeliefert. Das zeigte die Ratingagentur Moodys Anfang November in einer Studie.

Unterdessen wird Deutschland mehr und mehr zum etatistischen Gängelstaat: Vom verdienten Euro bleibt nach Abzug aller Steuern und Abgaben unter Merkel grade einmal 46 Cent übrig. Deutschland sei eine Steuerhölle schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“. Die Sozialsysteme sind trotzdem nicht zukunftsfest. Gegängelt wird auch über das Finanzielle hinaus: Die Mietpreisbremse ist nichts als eine Teilenteignung, und ein von Merkel unterstütztes Quotensystem bedroht sowohl die freie Verfügung über Eigentum als letztlich auch die Grundsätze einer jeden Demokratie.

Ja – Merkel hat Deutschland geprägt. Aber auf destruktive Weise. Doch auch mit ihrem Sturz ist das Desaster nicht vorbei. „Merkeln“ ist in der deutschen Politik und vor allem in der CDU zu einer höheren Kunst geworden. Schon stehen Merkel-Klone breit, um ihre Politik weiterzutreiben. Die Kramp-Karrenbauers, Laschets und Altmaiers dieser Welt werden es keinen Deut anders und besser machen. Gebe der Himmel, dass wenigstens Friedrich Merz einer ist, der zunächst die CDU entmerkelt – auch wenn das nur eine sehr schwache Hoffnung sein kann.

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