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Jun 13

Mord an Umut K.- Hechingen: Zweites Blutrache-Urteil mit Spannung erwartet

Ein gerahmtes Foto und Gedenksteine erinnern an der Hechinger Staig bis heute an Umut K. Der Deutschkurde aus Bisingen wurde am 1. Dezember 2016 wegen Drogengeschäften auf offener Straße erschossen. Er wurde nur 22 Jahre alt. Sein Bruder schwor Rache und steht dafür jetzt vor Gericht. © Foto: Andrea Spatzal

Am Freitag wird der Berufungsprozess um einen geplanten Rachefeldzug nach dem Mord an Umut K. fortgesetzt.

Am Freitag um 9 Uhr wird im Saal 168 im Landgericht Hechingen der Blutrache-Prozess fortgesetzt. Zwei junge Männer, 22 und 25 Jahre alt, sitzen auf der Anklagebank. Der Jüngere fast wie ein Unbeteiligter, der andere deutlich nervöser. Er hofft auf einen Freispruch. „Verabredung zum Mord“ wird den beiden vorgeworfen. Dafür wurden sie im März 2018 auch zu langen Haftstrafen verurteilt. Aber der Bundesgerichtshof hat das erste Urteil kassiert und den Fall nach Hechingen zurück verwiesen. Damit musste der „Blutrache-Prozess“ jetzt komplett neu aufgerollt werden. Vier Verhandlungstage sind bereits abgearbeitet. Das zweite Urteil in dem Prozess, das mit Spannung erwartet wird, rückt langsam in greifbare Nähe.

Der Prozess geht zurück auf den Mord an Umut K. Der junge Deutschkurde wurde am 1. Dezember 2016 an der Hechinger Staig auf offener Straße erschossen. Ein Anschlag im Mafia-Stil. Umuts Mörder ist rechtskräftig verurteilt und sitzt hinter Gittern.

Die Bluttat hatte ein Nachspiel, das die Gerichte bis heute beschäftigt. Unmittelbar nach dem Mord begann nämlich einer der Brüder des Getöteten, damals 20 Jahre alt, zusammen mit einem zu der Zeit 23-jährigen Komplizen Rachepläne zu schmieden. Sie hatten sich vorgenommen, den Familien der Täter Todesangst einzujagen. Im Internet wollten sie sich Waffen besorgen. Konkret ging es um Schusswaffen und Handgranaten.

Mordpläne „sehr konkret“

Der lange Arm des Gesetzes kam den beiden selbsternannten Rächern rechtzeitig auf die Schliche. Den entscheidenden Hinweis auf die geplante Vendetta erhielten die Ermittler allerdings auf Umwegen: Im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf eine Moschee in Weil am Rhein im Frühjahr 2017 wurden die Telefonkontakte zwischen den beiden Angeklagten abgehört. An dieser Korrespondenz erkannte das Gericht die Ernsthaftigkeit der Rachepläne. Der Plan, den Mord an Umut K. zu rächen, sei sehr konkret gewesen, urteilte die 1. Große Jugendkammer des Hechinger Landgerichts im März 2018 und verhängte hohe Haftstrafen. Die Kammer gelangte damals auch zu der Ansicht, dass die Angeklagten von ihrem Vorhaben nicht etwa freiwillig oder gar aus Einsicht abgelassen haben, sondern einzig und allein aus Geldmangel.

Der Bundesgerichtshof sieht das anders. Die Karlsruher Richter gaben dem Revisionsantrag des 25-jährigen Angeklagten statt. Dieser war von Anfang an der Ansicht, nichts Unrechtes getan zu haben, zu Unrecht beschuldigt worden zu sein. Er habe nur geblufft, Umuts Bruder eigentlich nur „abgezockt“. Mit den ersten mühsam zusammengekratzten Geldscheinen für den Waffenkauf habe er für Friseur und Klamotten verpulvert. Entsprechend kommt auch der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, der Anschlag sei zu wenig konkret, lediglich in einem Planungsstadium gewesen.

Es ist jetzt Aufgabe der 2. Großen Jugendkammer des Landgerichts Hechingen herauszuarbeiten, wie nah die beiden Angeklagten einer Blutrache tatsächlich gekommen sind. Bislang gleicht der Revisionsprozess über weite Strecken der ersten Verhandlung. Vor allem Polizeibeamte wurden in den Zeugenstand gerufen. Erneut wurde auch das psychiatrische Gutachten gehört, das beiden Männern schwere Störungen des Sozialverhaltens bescheinigte, hervorgerufen durch schwierige Biografien mit komplizierten Familienverhältnissen, Schulabbrüchen und frühem Kontakt mit Drogen, Alkohol und Kriminalität. Auch die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Gerichtssaal sind genauso umfangreich wie bei der ersten Verhandlung. Polizisten kontrollieren jeden, der hinein will. Taschen und Telefone müssen abgegeben werden.

Zeugin nach Lettland geflohen

Und noch eines ist gleich geblieben: das Schweigen der beiden Angeklagten. Sie sagten bislang kein Wort. Über seine Anwälte ließ der 25-Jährige Einwände gegen seine Verhaftung vorbringen: Bei der Vernehmung habe er unter Medikamenteneinfluss gestanden und zweitens habe der Haftrichter in zu kurzer Zeit, also nach unzureichender Prüfung den Haftbefehl gegen ihn erlassen. Letzterer Einwand wurde am letzten Verhandlungstag am 23. Mai durch die Vorlage umfangreicher Ermittlungsprotokolle widerlegt.

Am selben Verhandlungstag hätte auch die frühere Freundin des 25-Jährigen aussagen sollen. Sie war zur Tatzeit von ihm schwanger. In seinem Schreiben an den Bundesgerichtshof mit der Bitte um Revision hatte sich der Angeklagte noch geläutert und ganz in seiner neuen Rolle als verantwortungsvoller Vater dargestellt. Aber wie sich jetzt herausstellte, ist die junge Frau mit ihrem Kind inzwischen nach Lettland ausgewandert – aus Angst vor dem Kindsvater, wie es hieß.

Die Zeugin soll nun über Telefon der Gerichtsverhandlung zugeschaltet werden. Ob die Liveschaltung am morgigen Verhandlungstag tatsächlich zustande kommt, hängt von der Bereitschaft der Zeugin und vom zuständigen Gericht in Lettland ab.

Quelle: swp

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