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Jan 14

Noch mehr Armutsaraber sollen direkt aus libyschen Lagern importiert werden


90 Städte und Gemeinden haben sich gemeldet um mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Darunter auch Potsdam und Düsseldorf.
Quelle: WELT/ Thomas Laeber

Zahlreiche Städte und Gemeinden wollen in Deutschland mehr Migranten aufnehmen – doch das ginge „bundesrechtlich“ nicht, heißt es vom Innenministerium. Bei den Kommunen stößt das auf Unverständnis.

Es waren aufwühlende Videos, die im Dezember über die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln kursierten. Leicht bekleidete Kinder drängten sich um Lagerfeuer, um sich zu wärmen. In völlig überfüllten Zelten warteten Familien auf ihre Weiterreise auf das Festland. Um Griechenland zu entlasten, schickte die Bundesregierung 5000 Stockbetten, 9988 Matratzen, 30.620 Sets Bettwaren. Doch die Unterstützung aus der Ferne reicht vielen Politikern und Aktivisten in Deutschland nicht.

Schon im Dezember forderte Grünen-Chef Robert Habeck, zumindest die Kinder aus den Lagern zu holen. Am Montag legten nun Vertreter von Städten und Kommunen in Deutschland mit eigenen Aufnahmeforderungen nach.

Man wolle bei der aktuellen Notsituation in Griechenland und Italien helfen, sagte der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) bei einer Pressekonferenz in Berlin. Die Leiterin des Amtes für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf, Miriam Koch, sagte, dass ihre Stadt weitere 300 Migranten aufnehmen könne. Es sei auch „ermüdend“, dass das „Sterben im Mittelmeer“ noch kein Ende gefunden habe.

Bislang ist für Aufenthaltsfragen der Bund zuständig. Das Bundesinnenministerium entscheidet, welche und wie viele Migranten im Rahmen von Aufnahmeprogrammen nach Deutschland kommen können. Den rund 120 Städten, die sich im Bündnis „Städte sicherer Häfen“ zusammengeschlossen haben, gehen die bisherigen Initiativen aber nicht weit genug.

Sie fordern von der Bundesregierung, mehr Migranten aus Krisenregionen den Weg nach Deutschland zu ermöglichen. Die Bürger in ihren Kommunen seien bereit dafür – außerdem hätten die Städte in ihren Aufnahmeeinrichtungen noch Platz.

Es gehe darum, Städte in Italien oder Griechenland nicht allein zu lassen, sagte Potsdams Oberbürgermeister Schubert. Angesichts der fragilen Lage im Nahen Osten, die mehr Flüchtlinge erwarten lasse, müsse die Bundesregierung aktiv werden. Es sei notwendig, sich „unterzuhaken“ in der EU.

Koch erzählte, dass der Düsseldorfer Oberbürgermeister der Bundeskanzlerin schon im Jahr 2018 signalisiert habe, dass die Stadt mehr Menschen aufnehmen könne, als ihr zugeteilt worden waren. Eine Antwort habe man allerdings nicht erhalten.

Es ist ein alter Streit um Zuständigkeiten, der angesichts der neuerlichen Krise an der EU-Außengrenze wieder entflammt. Nicht nur Düsseldorf, auch andere deutsche Städte hatten die Bundesregierung 2018 aufgefordert, ihnen die Aufnahme von mehr Migranten zu erlauben. Damals irrten viele private Seenotretter wochenlang im Mittelmeer umher, weil Länder wie Italien die Anlandung verweigerten.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) versprach, eine Regelung zu finden, die inzwischen notdürftig funktioniert. Seit dem vergangenen Herbst dürfen Seenotretter die Häfen in Malta und Italien in der Regel anlaufen. Deutschland und Frankreich haben versprochen, einen Teil der Migranten aufzunehmen.

Nun fordert das Bündnis „Seebrücke“, das die Aktivitäten der aufnahmebereiten Städte mitkoordiniert, einen Schritt weiterzugehen. „Wenn 2019 das Jahr der sicheren Häfen war, so muss 2020 das Jahr der praktischen Verantwortung werden“, sagte Sprecherin Liza Pflaum bei einer Veranstaltung der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wir wollen radikale Mitbestimmung progressiver Kommunen.“

Kommunen müssten selbst über die Aufnahme und auch über die Bleibeperspektive der Menschen bestimmen dürfen. „Wir sagen, Menschen sollen gar nicht erst auf seeuntaugliche Boote steigen müssen, sondern direkt aus den libyschen Lagern in aufnahmebereite Städte kommen können.“ Das gleiche gelte für überfüllte Lager auf den griechischen Inseln und „dem überfüllten Balkan“.

Bislang haben sich nach Auskunft des Bundesinnenministeriums mehr als 90 Städte und Gemeinden schriftlich gemeldet mit dem Wunsch, mehr Migranten aufzunehmen. Man respektiere das Engagement dieser Kommunen „in besonderer Weise“, sagte am Montag Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU). Er wisse, dass dieser Wunsch in den Gemeinden von fast allen politischen Fraktionen mitgetragen werde. Es sei „bundesrechtlich“ aber nicht möglich, den Städten vonseiten des Bundes einfach mehr Migranten zuzuweisen.

„Es gibt keine unmittelbaren Beziehungen zwischen dem Bund und den einzelnen Kommunen.“ Allerdings gebe es Ende Januar ein Gespräch zwischen Ministerium und Kommunen, um nach Lösungen zu suchen. Bereits jetzt habe man das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgefordert, die Liste der aufnahmebereiten Städte an die Bundesländer weiterzugeben, damit die gemeldeten Kommunen „zum Zug“ kommen.

Die Städte können das Abwarten nicht verstehen. Der Potsdamer Bürgermeister Schubert sagte, mit Zustimmung des Bundesinnenministeriums sei es bereits jetzt möglich, dass Bundesländer Flüchtlinge aufnehmen. In der Vergangenheit hatte es solche Landesprogramme etwa für verfolgte Jesiden gegeben. Schubert ergänzte zudem, Bundesgesetze seien keine „Naturgesetze“ und könnten bei Bedarf geändert werden.

Allerdings stehen längst nicht alle Städten und Gemeinden den Bestrebungen der 120 Kommunen offen gegenüber. Er habe „grundsätzlich ein Problem mit offen angekündigten Maßnahmen, die Schlepper ermutigen, ihr schmutziges Geschäft auszubauen und neue Pull-Faktoren schaffen“, sagte Uwe Brandl (CSU), Bürgermeister von Abensberg (Bayern) sowie Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes schon im Herbst.

„Das vielleicht gut Gemeinte wird schnell als Anreiz verstanden werden.“ Hinzu kommen finanzielle Fragen. Laut der Düsseldorfer Leiterin des Amtes für Migration und Integration, Koch, sind die Städte bislang nur für etwa die Hälfte der Aufnahme- und Unterbringungskosten verantwortlich. Der Rest wird finanziert über Bund und Länder. Die Aufnahme zusätzlicher Migranten hätte also nicht nur Konsequenzen für die 120 Städte selbst – sondern für die Gesamtgesellschaft.

Innenstaatssekretär Mayer war am Montag bemüht, den guten Willen des Bundesinnenministeriums zu unterstreichen. Bei der Veranstaltung der Grünen-Bundestagsfraktion rechnete er vor, dass Deutschland bereits mehr aus Seenot Gerettete aufgenommen habe, als ursprünglich vereinbart. So habe die Bundesregierung zugesagt, 889 Personen von Malta oder Italien aufzunehmen – rund „28 Prozent“ aller Personen, die zur Verteilung vorgesehen seien. Innenminister Seehofer hatte im Sommer versprochen, 25 Prozent aller aus Seenot geretteten Migranten aufzunehmen – und war bereits mit dieser Forderung auf Widerstand selbst bei Parteifreunden gestoßen.

Quelle: welt.

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