«

»

Mrz 18

Prozessauftakt zum Tod von Daniel H: „Sind Sie Mitglied oder Unterstützer der AfD?“

  • In Dresden steht Alaa S., 23 Jahre alt und 2015 aus Syrien geflohen, vor Gericht, weil er im vergangenen Sommer den 35-jährigen Daniel H. getötet haben soll.

  • Am ersten Tag dauert es nicht lange, bis der Prozess da ist, wo der Fall von Anfang an war: mitten in der Flüchtlingsdebatte.

  • Der wichtigste Zeuge dürfte ein Mann sein, der in dem Dönerimbiss „Alanya“ arbeitete, und Alaa S. am Tatabend gesehen hat.

  • Ob er es war, der Daniel H. die tödlichen Stiche versetzt hat, ist bislang nicht klar. Der zweite Tatverdächtige ist im Irak untergetaucht.

Von Annette Ramelsberger, Dresden

Ein Mensch ist gestorben, durch Stiche ins Herz und die Lunge. Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes, am 26. August 2018, in einer warmen Sommernacht. Das Opfer: Daniel H., 35, ein Schreiner aus Chemnitz, deutsche Mutter, kubanischer Vater, einer, der mit Freundin und Stiefsohn als kleine Familie lebte. Ein Mann, der keine Sympathien für die rechte Szene hatte. Doch dieser Mann ist den Rechten zum Helden geworden – weil die Täter mutmaßlich zwei Flüchtlinge waren.

Gerade in diesem Fall wäre es wichtig, den genauen Hergang und die Verantwortlichen klar benennen zu können. In diesem Fall, der die Republik in Aufruhr versetzte, zu Straßenschlachten und dem Aufmarsch von Rechtsradikalen führte und am Ende fast zum Bruch der Bundesregierung. Ein Fall, über dessen Nachwehen Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sein Amt verlor.

Doch nichts an diesem Prozess ist einfach. Nicht die Umstände, nicht die Erwartungen, die an ihn gerichtet werden. Und schon gar nicht die Beweislage.

Das Gericht ist aus Sicherheitsgründen nach Dresden umgezogen

Einer der Tatverdächtigen ist abgetaucht, ins Ausland geflohen, im Irak wird nach ihm gefahndet. Er hatte den Streit mit Daniel H. angezettelt. DNA-Spuren, die auf ihn deuten, wurden an einem Messer gefunden. Doch nun steht der andere Flüchtling vor Gericht, von dem es keine DNA-Spuren gibt. Alaa S., 23 Jahre alt, Friseur, 2015 aus Syrien geflohen. Einer derjenigen, die mit dem großen Flüchtlingstreck nach Deutschland kamen. Doch ob er es war, der dem Schreiner die tödlichen Stiche versetzt hat, ist nicht wirklich klar.

Das Gericht ist aus Sicherheitsgründen von Chemnitz nach Dresden umgezogen und hat den Prozess in den Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden verlegt. Weit draußen vor der Stadt, zwischen Friedhof und Gefängnis. Am Morgen vor Beginn des Prozesses kann man in der taz die Einschätzung der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig lesen: Es werde schwierig für Chemnitz, wenn es keine Verurteilung gäbe. Sie hoffe darauf, dass der Angeklagte verurteilt wird. So ist offenbar die Gemütslage in Sachsen. Es ist eine Steilvorlage für die Verteidigung.

Es geht gleich richtig los: Verteidigerin Ricarda Lang verlangt, dass die drei Richter und die zwei Schöffen Erklärungen abgeben, ob sie auch wirklich unbefangen über den Angeklagten urteilen können. Sie fragt: „An welchen Kundgebungen von Pegida oder Pro Chemnitz haben Sie teilgenommen? Sind Sie Mitglied oder Unterstützer der AfD? Haben Sie sich in Leserbriefen oder Ähnlichem zur sogenannten Flüchtlingskrise geäußert? Haben Sie an dem Trauermarsch nach dem Tod von Daniel H. teilgenommen? Haben Sie Blumen oder Kränze für ihn niedergelegt?“

Und schon ist der Prozess da, wo der ganze Fall von Anfang an war: mitten in der Flüchtlingsdebatte, mitten in der Auseinandersetzung des Staates mit Rechtsradikalen. 24,3 Prozent der Chemnitzer haben bei der Bundestagswahl AfD gewählt. Anwältin Lang sagt: „Der Angeklagte entspricht dem erklärten Feindbild derer, die die Kundgebungen der AfD unterstützen.“ Und natürlich zitiert die Verteidigerin die Worte von Oberbürgermeisterin Ludwig. Hier werde von politischer Seite Einfluss genommen, kritisiert sie. Noch nicht einmal der Staatsanwalt stellt sich gegen die konkreten Fragen der Verteidigung. Das sei schon grundsätzlich gerechtfertigt.

Die Verteidigung fordert umgehend die Einstellung des Verfahrens, hilfsweise die Aussetzung und die Aufhebung des Haftbefehls gegen Alaa S. Alles, was die Staatsanwaltschaft ermittelt habe, sei „vage, eventuell und bewegt sich im Bereich des Ungefähren“, erklärt Verteidiger Frank Wilhelm Drücke. Das ganze Verfahren verkomme zu einem „Verstetigungsmechanismus von Vorurteilen“. Drücke sagt: „Es mangelt an handfesten Beweisen. Unser Mandant ist unschuldig. Das wird die Hauptverhandlung ergeben.“

Schon vor Beginn des Prozesses hat die Verteidigung von Alaa S. beantragt, das Verfahren in ein Bundesland zu verlegen, in dem dieses Jahr keine Landtagswahlen sind. Sie fürchtet den „Druck der Straße“ auf die Richter, gewalttätige Demonstrationen. Es sei naheliegend, dass die Richter nicht unbeeindruckt und angstfrei urteilen könnten, schrieben die Verteidiger. Und sie führten in ihrem Antrag auch an, dass rechtes Gedankengut auch unter den Justizmitarbeitern verbreitet sei – immerhin hatte ein Justizhauptsekretär den Haftbefehl gegen einen Beschuldigten an die rechte Gruppe „Pro Chemnitz“ herausgegeben. Der Justizbeamte kandidiert nun für die AfD. Der Bundesgerichtshof lehnte den Antrag auf Verlegung des Verfahrens ab. Es gebe „nicht die geringsten Anhaltspunkte“, dass die Richter nicht angstfrei urteilten.

Am Morgen des Prozesses dann akribische Sicherheitsvorkehrungen. Und überschaubarer Andrang – denn in Chemnitz wird an diesem Tag ein Mann zu Grabe getragen, dessen Beisetzung noch mehr Zuschauer anzieht als dieser Prozess: Thomas Haller, Gründer der Hooligan-Vereinigung HooNaRa, ausgeschrieben: Hooligans, Nazis, Rassisten. Für diesen Mann wurde auch im Stadion des Chemnitzer FC eine Gedenkminute abgehalten wurde.

In Dresden macht sich der Rechtsstaat ans Werk.

Der wichtigste Zeuge: ein Mann aus dem Dönerimbiss

 

Der Staatsanwalt verliest die Anklage. Kurz ist sie. Die Anklage wirft Alaa S. Totschlag an Daniel H. und versuchten Totschlag an dessen Bekannten Dimitri M. vor. Die Anklage zeichnet nicht das Bild eines heimtückischen Überfalls von zwei Männern auf Daniel H. Eher das Bild einer aus dem Ruder gelaufenen Schlägerei. Auslöser dieser Schlägerei war Farhad A. Der war schon vorher pöbelnd durch die Kneipen gezogen und hatte Gäste als „Nazis“ beschimpft. Dann traf er auf die Gruppe um Daniel H. im Zentrum von Chemnitz.

Die beiden Kumpel Daniel H. und Dimitri M. standen in jener Sommernacht mit anderen Freunden zusammen, als der Iraker Farhad R. auf sie zukam und Daniel H. ganz offensichtlich auf Kokain ansprach. Er zog, so sagen Zeugen, die Nase hörbar hoch und fragte nach einer „Karte“. Daniel H. sprach kurz mit dem Iraker, dann rief er ihm zu: „Verpiss dich.“ Farhad A. gab Daniel H. daraufhin eine Ohrfeige. Der wehrte sich und stieß Farhad A. zu Boden. In diesem Moment kam der Angeklagte Alaa S. hinzu, der seinen Bekannten auf dem Boden liegen sah. Er ging „in Angriffshaltung“ – so die Anklage – auf Daniel H. zu, der wehrte sich mit einem Faustschlag. Da habe Alaa S. ihn am Nacken gepackt und ihm mehrere Messerstiche versetzt. Auch den Kumpel von Daniel H. traf ein Stich in den Rücken. „Potenziell lebensgefährlich“ nennt das der Staatsanwalt Stephan Butzkies. Vermutlich wurde dieser Stich von Farhad A. geführt. Aber die Staatsanwaltschaft sieht die beiden Flüchtlinge als gemeinschaftlich Handelnde, mit gemeinsamen Tatplan und Tatentschluss, und rechnet diesen Stich also ebenfalls Alaa S. zu. Auch seien die beiden gemeinsam weggelaufen.

Der wichtigste Zeuge in diesem Prozess dürfte ein Mann sein, der in dem Dönerimbiss „Alanya“ arbeitete. Dort hatte sich Alaa S. gerade einen Döner gekauft, als er auf den Streit aufmerksam wurde und hinauslief. Der Koch des Imbisses erklärte bei der Polizei, er habe sowohl Farhad A. als auch Alaa S. gesehen, wie sie auf Daniel H. eingestochen haben. Die beiden seien an ihm vorbeigerannt und hätten blutverschmierte Hände gehabt. Der Koch klagte Ende November bei der Polizei, er werde von Bekannten des Angeklagten unter Druck gesetzt und sei schon geschlagen worden, um seine Aussagen zurückzunehmen. Zwei Wochen später dann erklärte der Zeuge, er habe nicht von Stichen geredet, sondern von Faustschlägen. Das müsse falsch aufgenommen worden sein.

Der Angeklagte kommt herein. In weißem Hemd und hellem Sakko, das Haar akkurat rasiert und gegelt. Er ist ja Friseur. Hinten im Saal winken ihm ein paar Freunde zu. Vorne sitzen die, die bereits den Antrag der Verteidigung auf Auskunft nach der politischen Haltung des Gerichts laut und empört als „Witz“ bezeichnen. Sie rumoren, ein Wachtmeister schreitet ein. Das Gericht will erst später über den Antrag der Verteidigung entscheiden.

Quelle sz

Schreibe einen Kommentar

Close