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Aug 02

Kindliche Sexualität mit Entdeckerlust bei Doktorspielen: Worauf Eltern achten sollten

Achtung Pädosexartikel erschienen in der Allgemeinen Zeitung.

MAINZ – Die eigenen Genitalien oder auch die anderer zu entdecken, ist für Kinder spannend. Spätestens jedoch, wenn beim Spielbesuch einer der beiden Sprösslinge mit runtergelassenen Hosen auf dem Bett liegt und vom anderen untersucht wird, sind Eltern beunruhigt und fragen sich: Muss ich eingreifen?

„Nein, erst mal nicht“, würde Esther Burg, Leiterin der Kita Neustadtzentrum in Mainz antworten. In ihrer Einrichtung sind „Doktorspiele“ nicht verboten. „Wir gewähren Kindern Raum zum Rückzug. Wir wollen doch, dass unsere Kinder gesund aufwachsen zu einem Erwachsenen, der im Leben zurechtkommt. Sexualität gehört dazu“, betont sie. Kinder dürften feststellen, dass es schön sein könne, den eigenen Körper kennenzulernen. Der Mensch sei vom ersten Tag an ein sexuelles Wesen, und Kinder müssten dabei unterstützt werden, die eigene Identität zu entwickeln.

Klare Regeln

Natürlich behalten die Fachkräfte der Kita Neustadtzentrum solche Situationen ganz genau im Auge. Zudem werden den Kindern klare Regeln beigebracht: Nein heißt nein – und es werden keine Gegenstände in Körperöffnungen gesteckt: so wenig in Po oder Scheide wie in Nase oder Ohr. Und außerdem achten die Erzieher sehr genau darauf, dass zwischen den beteiligten Kindern kein Machtgefälle herrscht – weder in Bezug auf ihr Alter noch auf ihre Durchsetzungskraft.

„Erwachsene verbinden völlig andere Vorstellungen mit Sexualität als Kinder. Ihre Sexualität ist etwas ganz anderes“, gibt Sabine Rausch von der Fachberatung der Abteilung Kindertagesstätten der Stadt Mainz zu bedenken. „Das ist nichts Geplantes, es entsteht beim Spiel, etwa wenn Mutter-Vater-Kind gespielt wird“, fügt Burg hinzu. Natürlich erzeuge dies mitunter bei Eltern Angst, weiß Burg. Dennoch versuche sie, Eltern für das Thema zu sensibilisieren – und ihnen die Befürchtungen zu nehmen.

Manche Eltern glaubten, ihr Kind könnte durch derartige Spiele gefährdet werden. Aber gerade der offene Umgang mit dem Thema schütze es, ergänzt Rausch. „Wir ermutigen die Kinder, ihre Grenzen zu finden, zu setzen und sich, wenn nötig, auch bei uns Hilfe zu holen“, betont die Kita-Leiterin. Das verleihe Kindern für viele andere Situationen im Leben das notwendige Selbstbewusstsein, klar zu sagen, was sie wollen – und was nicht. „Das fängt schon mit dem Kuss der Großmutter an. Wenn ein Kind das nicht möchte, sollte man es nicht dazu zwingen“, rät Rausch.

„Sexualität beginnt weit vor der Pubertät“

Das sexualpädagogische Konzept der Kita Neustadtzentrum orientiert sich an der Bildungs- und Erziehungsempfehlung des Landes Rheinland-Pfalz sowie an der Rahmenkonzeption der Stadt. Die Leitlinien gelten für alle 53 Mainzer Kitas, die sich in Trägerschaft der Stadt befinden. Nicht weniger als in diesen Leitlinien formuliert fordert auch Ulrike Schmauch, Professorin im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit an der Fachhochschule Frankfurt. Die Sexualpädagogin findet, dass sich jede Kita ein sexualpädagogisches Konzept erarbeiten sollte, denn sexuelle Bildung ist ihrer Ansicht nach genauso wichtig wie etwa interkulturelle oder technische Bildung. Ob früher als Pädagogin und Fortbildungsreferentin bei pro familia oder später als Expertin in Wissenschaft und Lehre – seit den 1970er Jahren beschäftigt sich Schmauch mit dem Thema und stellt immer wieder fest: Für jede Generation von Eltern und pädagogischen Fachkräften stellt sich das Thema neu. Noch immer hielten viele „Doktorspiele“ für einen Hinweis auf eine problematische Entwicklung, wenn nicht gar auf sexuellen Missbrauch; diese Annahme sei jedoch falsch „Seit Freud wissen wir, dass Sexualität weit vor der Pubertät beginnt“, erklärt sie. Dabei sei der psychoanalytische Begriff der Sexualität weit, er umfasse menschliches Lustempfinden insgesamt und von Geburt an, nicht nur die genitale Sexualität. Das Lutschen und Saugen eines Säuglings oder Empfindungen der Haut etwa zählten hierzu.

Meistens um das dritte und vierte Lebensjahr herum erkundeten die Kinder besonders gerne ihre Genitalien. „Sie stellen Unterschiede fest – mal ist es einfach angenehm, mal kribbelt es bei der Berührung oder erzeugt aufregende Lust. Diese Selbsterforschung kann sich auch zur Selbstbefriedigung und zu den ,Doktorspielen‘ zwischen Kindern weiterentwickeln. In den ersten Lebensjahren sei die Intelligenz sehr sinnlich und nun mal mit Neugierde verbunden, betont Schmauch. Wenn man Kinder die Welt erkunden lassen wolle, müsse man sie auch die Sexualität entdecken lassen. „Man sollte die kindliche Sexualität nicht überbewerten oder dramatisieren, aber auch nicht ignorieren“, empfiehlt sie. Als Eltern dürfe man die Kinder begleiten, sich aber nicht einmischen. Erwachsene könnten beides vermitteln – dass die Freude am Körper und an der sexuellen Lust etwas Gutes ist und, dass es wichtig ist, bei sich und anderen auf Grenzen zu achten.

Eigenen Standard finden

Für Prof. Dr. Michael Huss, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz gilt: „Die Mehrzahl der Kinder macht irgendwann so etwas wie Doktorspiele. Das ist kein Grund zur Sorge“, sagt er. Trotzdem sei es für Eltern wichtig, einen eigenen Standard zu finden, für das, was sie zulassen oder nicht. „In manchen Haushalten laufen die Eltern auch mal nackt durchs Haus, in anderen Familien wäre das undenkbar“, erklärt Huss. Es sei völlig in Ordnung, das eigene Moralempfinden gegenüber dem Nachwuchs zum Ausdruck zu bringen.

Huss hält es aber in jedem Fall für geboten, dem Kind ein Bewusstsein davon zu vermitteln, was gesellschaftliche Norm und was ein Tabubruch ist. Dass man etwa in der Öffentlichkeit bestimmte Stellen des Körpers bedecke und sich nicht ständig in den Schritt greife, seien Normen, die dem Kind bekannt sein sollten. „Wenn ein Kind offensichtlich und regelhaft soziale Normen verletzt, wird das zum Problem“, unterstreicht Huss. „Eines ist jedenfalls sicher“, betont Sabine Rausch: „Man braucht nicht zu denken, die Kinder wüssten nichts von ihrer Sexualität, nur weil wir nicht drüber sprechen.“

Dieser Pädosexartikel erschien bei der Allgemeine Zeitung

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