«

»

Mai 09

55 Millionen Euro Schaden jährlich: Diebesbanden fallen über München her

Klauen wird scheinbar zur Mode

Sie sind organisiert, sie sind aggressiv und sie nehmen alles mit, was nicht niet und nagelfest ist. Kriminelle Diebesbanden sind in München auf dem Vormarsch. Die Zahlen der Polizei schockieren:

München – 544 Fälle von schwerem Ladendiebstahl wurden 2016 angezeigt – insgesamt gab es sogar 6945 Anzeigen gegen Langfinger. Jetzt rüstet der Handel auf. Die tz sprach mit einem Detektiv über seinen täglichen Kampf gegen die Klau-Mafia.

„Was wir hier täglich erleben, ist der Wahnsinn.“

Eine Mutter geht mit ihren Kindern einkaufen – auf den ersten Blick harmlos. Auf den zweiten Blick offenbart sich eine Straftat: Die Kinder nehmen Ware aus den Regalen und verstecken sie in ihren Taschen – auf Anweisung der Mutter. „Das ist mittlerweile eine übliche Masche“, verrät Kaufhausdetektiv Torsten Doppler. Die Diebe wüssten, dass Unter-14-Jährige nicht strafmündig sind. Werden sie ertappt, ist die Antwort immer die gleiche: „Das waren meine Kinder, ich habe davon nichts mitbekommen.“ Solchen Fällen begegnet der Detektiv immer wieder. In den letzen zwei Jahren sei die Kriminalität im Einzelhandel immer heftiger geworden. „Was wir hier täglich erleben, ist der Wahnsinn. Echter Horror.“

Kaufhausdetektiv Torsten Doppler

Seit zwei Jahren geht Doppler in Münchner Drogerie- und Lebensmittelmärkten auf Diebesjagd. Sein Revier: Goethestraße, Schwanthaler-, Sonnen- und Bayerstraße. „Wir nennen das bei uns die Bronx“, verrät er. Benannt nach dem berüchtigten Brennpunktviertel in der US-Großstadt New York. „Ein normaler Detektiv erwischt am Tag vielleicht einen oder zwei Diebe“, so Doppler. „Bei uns sind es fünf bis zehn am Tag.“ Auf dem Vormarsch: Professionell organisierte Banden. „Das ist die klassische Vorgehensweise – eine Gruppe stürmt den Laden, und einer lenkt das Personal ab, während zwei bis vier andere sich die Taschen voll machen.“ Im Umfeld des Hauptbahnhofs seien täglich solche Klau-Gruppen unterwegs. „Das sind keine Amateure, sondern echte Profis.“ Seiner Erfahrung nach handle es sich häufig um Osteuropäer. „Von den Straftätern, die unsere Detektei letztes Jahr erwischt hat, waren nur vier Prozent Deutsche.“

Der wirtschaftliche Schaden, den die Banden anrichten, ist gewaltig. „Wir gehen davon aus, dass in München Jahr für Jahr Waren im Wert von 55 Millionen Euro gestohlen werden“, berichtet Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. „Dabei wird nur jeder zehnte Ladendieb erwischt.“

Die Dunkelziffer sei so hoch, weil die Diebe immer raffinierter würden. „Aber es hat auch damit zu tun, dass sich bei den Betrieben eine gewisse Anzeigenmüdigkeit breit gemacht hat.“ Der Aufwand für den Betrieb sei nämlich groß, wenn ein Täter geschnappt wird. „Dann muss der Mitarbeiter, der den Dieb erwischt hat, zur Polizei – das bedeutet Ausfallzeiten.“ Hinzu komme, dass ein großer Teil der Verfahren wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt werde. „Das frustriert“, so Ohlmann.

Weiteres Problem: die zunehmende Gewaltbereitschaft der Täter. „Die Diebe werden immer aggressiver, wenn sie erwischt werden“, sagt Bernd Ohlmann. „Diese Täter haben oft auch Technik, um die Sicherheitsetiketten zu entfernen oder Warnsignale auszuschalten.“

Was geklaut wird? „Alles, was nicht niet- und nagelfest ist“, so Ohlmann. „Kameras, Handys, Spirituosen aber auch Markenbekleidung.“

Hier stehlen Profis Kameras

Eine Minute – dann war’s vorbei. Bei diesem Diebstahl im vergangenen Jahr in einem Münchner Fachgeschäft waren Profis am Werk. „Die müssen den Laden und die Vitrine mit den Kameraobjektiven vorher genau ausspioniert haben“, sagt der Firmensprecher, der nicht genannt werden will, zur tz. „Die machen das systematisch, in ganz Europa.“ So lief der Coup: Die beiden Herren (vorne im Bild) betreten grüßend den Laden. „Der eine hat die Sicht verdeckt, der andere – Werkzeug war im Ärmel – hat, ohne die Vitrine groß zu beschädigen, fast lautlos den Glaskasten aufgebrochen und Geräte im fünfstelligen Euro-Bereich entwendet“, so der Sprecher. Dann verstecken die Täter die Beute unter der Jacke und verlassen seelenruhig den Tatort. „Danach haben wir die Sicherheitsmaßnahmen weiter erhöht, sodass solche Diebstähle in Zukunft deutlich schwieriger werden.“

Die Einzelhändler fordern härtere Strafen

Münchens Einzelhändler reagieren auf die Diebesbanden. Laut Verbandsboss Bernd Ohlmann sind es „Millionen, die für Sicherheit und Prävention ausgegeben werden“. Im Einsatz sind Detektive wie Torsten Doppler (siehe oben). Aber auch Videoüberwachung, Sicherheitsetiketten und Türsteher am Eingang sollen für Ruhe sorgen. „Da machen auch kleine Betriebe was. Das kostet aber alles Geld und letztendlich zahlt es der ehrliche Kunde.“ Der Handelsverband hat konkrete Vorstellungen, wie sich das Problem eindämmen ließe. „Wir fordern härtere Strafen! Es muss ein Signal sein – Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt.“ Wie das aussehen könnte? „Führerscheinentzug. Das ist eine empfindliche Sache!“

Quelle: TZ

Schreibe einen Kommentar

Close