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Mrz 05

Asyl in Holland abgelehnt, seither im illegalen Kirchenasyl in Bielefeld

In der Matthäuskirche: Matthias Blomeier, Joachim Poggenklaß, Ali Abdikarim und Pfarrer Eberhard Hahn (v. l.). | © Barbara Franke

Migration: Seit 25 Jahren kümmert sich ein ökumenisches Netzwerk um Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. 116 Männer, Frauen und Kinder kamen bislang in Wohnungen unter – und manch ein Helfer für den Einsatz ins Gefängnis

Bielefeld. Ali Abdikarim hat eine Odyssee hinter sich. Der 30-jährige Somalier flüchtete aus umkämpften Krisengebieten Ostafrikas, wurde von Verwandten getrennt und erreichte als Flüchtling Europa. Weil seine Herkunftsregion aber laut Ausländerbehörden nicht vom Krieg gebeutelt sei, stand er vor der Abschiebung ins Nichts. Dann kam Abdikarim ins Kirchenasyl. Es war sein Rettungsanker. Der Fall ist für das ökumenische Netzwerk Asyl eine Erfolgsgeschichte. 25 Jahre besteht die Helfer-Initiative mittlerweile (s. Infokasten) – und manches Mitglied kam für den Einsatz schon ins Gefängnis.

Abdikarims erste Asyl-Anlaufstation war Holland. Dort hieß es von Ämtern, dass im Süden Somalias Frieden sei. Er stellte mit Anwälten vier Anträge dagegen – vergeblich. Neue Gesetze gegen nicht anerkannte Flüchtlinge trafen Abdikarim 2015 dann mit voller Wucht: Duldungsende, Abschiebungsbescheid. Er war niedergeschlagen. Kurzentschlossen reiste er über die Grenze und kam über Umwege nach Gießen. Die Hoffnung: Eine neue Prüfung seiner „Riesenakte“.

Zwischen Deutschland und Holland

Deutschland befand aber Holland für das Asylverfahren zuständig. Nach sechs Monaten holte ihn die Polizei morgens um 4 Uhr ab. Elf Beamte sowie ein begleitender Arzt waren verdutzt: Sie sprachen Abdikarim auf Englisch an – doch der hatte längst Deutsch gelernt. „Sie haben selbst den Kopf geschüttelt, mich zurückbringen zu müssen.“

Dann kam der Silberstreif am Horizont: Der hiesige Arbeitskreis Asyl war auf sein Schicksal aufmerksam geworden. Über Kontakte gelang es, den jungen Mann 2015 ohne legalen Aufenthaltsstatus in einer Kirchenkreis-Wohnung für sechs Monate zu beherbergen.

Polizeistreifen ausweichen

Für eine Prüfung des Härtefalls brachte das befristeten Schutz. Denn auch, wenn Kirchenasyl rechtlich Zuflucht in Privaträumen ist, verzichten Behörden darauf, Betroffene gewaltsam aus solchen Unterkünften zu holen.

Draußen war Abdikarim aber ungeschützt. Bloß nicht auffallen war seine Devise. Er wich Polizeistreifen aus, vermied oft kontrollierte Plätze. Kein Versteckspiel, aber psychisch zermürbend. Immerhin: Es lohnte sich. Gerichte entschieden, dass Deutschland sein Verfahren führt. Für die letzte Anhörung reiste extra eine somalische Übersetzerin an. „Danke, nicht nötig“, wiegelte Abdikarim wieder ab. „Ich kann alles auf Deutsch erklären.“

Viele Hilfsersuchen abgelehnt

Der Somalier durfte bleiben. „Jetzt lebe ich vier Jahre in Bielefeld, habe tolle Freunde und Arbeit“, sagt er. Er ist dankbar, und er gibt zurück, engagiert sich etwa selbst als Ehrenamtler bei Joachim Poggenklaß. Der 70-jährige Pfarrer im Ruhestand war Mitinitiator des Netzwerks und berichtet, dass seit 1994 außer Abdikarim 115 weitere Geflüchtete betreut wurden: 46 Männer, 22 Frauen, 47 Kinder. 850 Menschen seien bundesweit aktuell im Kirchenasyl.

Auch wenn jüngst im Kirchenasyl sogar ein Kind geboren wurde: Nicht alle Geschichten nehmen in Bielefeld ein glückliches Ende. Und von den zehn Hilfsersuchen, die wöchentlich eingehen, müssten viele abgelehnt werden. Denn die Wohnungen des Kirchenkreises sind belegt mit einer Somalierin mit zwei Kindern, eine Nigerianerin, einem Türken und einem Eritreer.

Kirchenasyl als letztes Mittel

Es sind Notfälle ohne Perspektive in der ursprünglichen Heimat. Ihnen drohe ohne Bleiberecht Folter, Prostitution und Tod. „Sechs bis zwölf Monate bleiben Flüchtlinge im Schnitt im Kirchenasyl“, sagt der evangelische Sozialpfarrer Matthias Blomeier. Es sei als „Atempause“ angelegt, ein letztes Mittel, damit Behörden Fälle nochmals sorgfältig aufrollen. Kirchenasyl sei kein rechtsfreier Raum, nichts Illegales: Ämter würden über Aufenthaltsorte informiert, es gebe zudem ladungsfähige Anschriften.

Die Flüchtlinge werden auch ärztlich behandelt. „Die meisten sind psychisch krank“, so Joachim Poggenklaß. Mit seinen Mitstreitern fertigt er den Behörden für jeden Betreuten ein sogenanntes Härtefall-Dossier an – auch wenn Erfolgsaussichten jüngst gesunken seien.

In Haft über Weihnachten

Politisch drehe sich der Wind in puncto Kirchenasyl derzeit sowieso: Von der Innenministerkonferenz wurden 2018 unter anderem Dokumentations- und Meldepflichten verschärft. Das behindere die „Seelsorge“, aber entnervt aufgeben will laut Poggenklaß keiner.

Die Ehrenamtler haben schließlich schon ganz andere Dinge überstanden: Zwei Kirchenvertreter wollten mal eine kurdische Familie per Auto ins sichere Norwegen bringen. Das war unerlaubt – sie gingen an der Grenze in dänische Haft. Weihnachten und Silvester verbrachten die beiden für ihre Überzeugung hinter Gittern. Das war in den 90ern. Seitdem ist das ökumenische Netzwerk gewachsen, besser ausgestattet – und nach eigenen Angaben notwendiger denn je.

Quelle: nw

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