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Jan 20

Der Angeklagte Walid S. blickt direkt in die Kameras

Den Angeklagten Walid S. und Roman W. wird Körperverletzung mit Todesfolge, beziehungsweise vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen. Der 17-jährige Niklas P. war in Bonn auf dem Heimweg attackiert worden.
Vor einem halben Jahr wurde der 17-jährige Niklas P. nachts in Bad Godesberg totgeprügelt. Jetzt hat der Prozess gegen zwei 21-Jährige vor dem Landgericht Bonn begonnen. Die Beweislage ist schwierig.

 

Dénise P. hat sich abgewandt und blickt zur großen Fensterfront, als die beiden Angeklagten den Saal 0.11 des Landgerichts Bonn betreten. Die Frau mit dem schwarzen Zopf und der versteinerten Miene ist die Nebenklägerin.
Sie ist eine Mutter in tiefer Trauer. Ihr 17-jähriger Sohn Niklas wurde vergangenes Jahr getötet, und einer dieser beiden jungen Männer soll der Täter sein. Walid S. bestreitet das. Die Beweislage ist schwierig für die Jugendstrafkammer mit ihrem Vorsitzenden Richter Volker Kunkel. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf Belastungszeugen und auf Blut- und DNA-Spuren von Niklas, die an einer Jacke des Hauptangeklagten klebten.
Denise P., Mutter des Opfers Niklas P. und Nebenklägerin, steht am 20.01.2017 im Landgericht in Bonn (Nordrhein-Westfalen). Rund acht Monate nach dem Tod des verprügelten Schülers Niklas in Bonn hat hier der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter begonnen. (zu dpa «Bonner Prozess um Tod von Prügelopfer Niklas beginnt» vom 20.01.2017) Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Denise P., Mutter des Opfers Niklas P. und Nebenklägerin
Quelle: picture alliance / Rolf Vennenbe

Der Mitangeklagte wirkt äußerlich ungerührt

Zum Prozessauftakt hat der 21-jährige Walid S. sein widerborstiges, krauses Haar zu einem Dutt gebunden. Der schlanke gebürtige Italiener mit marokkanischen Wurzeln blickt direkt in die Augen der zahlreichen Prozessbeobachter und in die Fernsehkameras, die ihn vor Verhandlungsbeginn filmen. Der gleichaltrige Mitangeklagte Roman W., kantiges, unbewegtes Jungengesicht, stämmig, kurze dunkle Haare, lässt seine Jacke an und wirkt äußerlich ungerührt.
Der Hauptangeklagte Walid S. wird am 20.01.2017 im Landgericht in Bonn (Nordrhein-Westfalen) in den Verhandlungssaal geführt. Rund acht Monate nach dem Tod des verprügelten Schülers Niklas in Bonn hat hier der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter begonnen. (zu dpa «Bonner Prozess um Tod von Prügelopfer Niklas beginnt» vom 20.01.2017) (Achtung: Der Angeklagte wurden aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen gepixelt) Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Der Hauptangeklagte Walid S., der zum Zeitpunkt der Tat 20 Jahre alt war. Deshalb wird nach Jugendstrafrecht verhandelt
Quelle: picture alliance / Rolf Vennenbe
Man könnte ihnen die Tat zutrauen, denn sie sind schon mehrfach in Verdacht geraten, brutal zuzuschlagen und zu treten. Sie sitzen in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt listet zu Prozessbeginn einige Vorfälle auf, deretwegen die beiden ebenfalls angeklagt sind. Der mitangeklagte Roman W. kam im vergangenen Jahr aus der Untersuchungshaft frei, wurde aber wieder festgenommen, weil er einen Zeugen bedroht haben soll mit den Worten: „Redest du schlecht über mich vor Gericht, töte ich dich.“

Den am Boden Liegenden gegen Kopf getreten

Am schwersten wiegt der Vorwurf im Zusammenhang mit dem Tod von Niklas. Nach Darstellung des Staatsanwalts sollen Walid S. und Roman W. am 7. Mai gegen 0.20 Uhr auf Niklas und seine Freunde gestoßen sein. Niklas kam vom Festspektakel Rhein in Flammen.
Es gab wohl einen Wortwechsel an einer Bushaltestelle in der Ortsmitte von Bad Godesberg, dann soll Walid S. mit der Faust gegen die Schläfe des 17-Jährigen geschlagen und, als Niklas regungslos am Boden lag, gegen dessen Kopf getreten haben. Roman W. wird angelastet, eine Begleiterin des Schülers gegen den Kopf geschlagen zu haben. Das Mädchen soll verhindert haben, dass Roman W. ebenfalls gegen Niklas‘ Kopf tritt.
Sieben Tage später starb der Jugendliche. Sein Tod erschütterte das frühere Diplomatenviertel von Bonn. Einwohner, die in den vergangenen Jahren über Bandenkriminalität, Einbrüche, auffällige Migranten und vollverschleierte Frauen geklagt hatten, fühlten sich bestätigt.

In ganz Deutschland wurde um Niklas getrauert

Hunderte Menschen kamen im Mai vergangenen Jahres zum Trauergottesdienst in die Pfarrkirche St. Marien. Pfarrer Wolfgang Picken erzählte damals in der Trauerrede, dass Niklas nach dem Tod seines Vaters 2013 verzweifelt gewesen war und sich innerlich allmählich wieder aufgerichtet hatte und Freude am Leben gefunden hatte. Nach der Messe folge eine lange Trauerprozession, als der weiße Sarg zum höher gelegenen Burgfriedhof getragen wurde.
Der Hauptangeklagte Walid S. (2.v.l.) neben seinem Anwalt Martin Kretschmer und der Angeklagte Roman W. (r) neben seinem Anwalt Peter Krieger sitzen am 20.01.2017 im Landgericht in Bonn
Der Hauptangeklagte Walid S. (2.v.l.) neben seinem Anwalt Martin Kretschmer und der Angeklagte Roman W. (r) neben seinem Anwalt Peter Krieger
Quelle: picture alliance / Rolf Vennenbe
Niklas‘ Tod löste bundesweite Betroffenheit aus. Es war eine jener Tragödien, die aus scheinbar nichtigem Anlass geschehen sind. Eineinhalb Jahre zuvor war die 23-jährige Deutschtürkin Tugçe A. in Offenbach gestorben. Sie hatte in einem Schnellrestaurant zwei Mädchen gegen aufdringliche Kerle beschützt; einer von ihnen schlug sie später auf dem Parkplatz ins Gesicht. Die Studentin stürzte, schlug mit dem Kopf auf den Boden auf und starb später.

Eine brutale, eine sinnlose Tat

Dann traf es Niklas in Bonn-Bad Godesberg, offenbar wieder wegen einer Lappalie. „Eine brutale, sinnlose Tat hat ihn aus unserer Mitte gerissen“, stand auf der Todesanzeige, die seine Schule veröffentlicht hatte. Der Tod des 17-Jährigen löste bundesweite Anteilnahme aus und erschütterte das frühere Diplomatenviertel der ehemaligen deutschen Hauptstadt. Hunderte Menschen drängten sich im Mai vergangenen Jahres in die Pfarrkirche St Marien zum Trauergottesdienst.
Noch immer ist das Rondell am Tatort eine Gedenkstätte. Ein Holzkreuz mit den eingravierten „Niklas“ steht noch da, Grablichter und Blumen werden regelmäßig ausgetauscht.

Die Polizei zeigte mehr Präsenz in Bad Godesberg

Der engagierte katholische Geistliche Picken wurde zum kritischen Wortführer. Er warnte vor einer Gewaltspirale im Stadtteil und mahnte Konsequenzen an. Bonns Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan kündigte Maßnahmen für mehr Sicherheit an. Die Polizei erhöhte ihre Präsenz in Godesberg.
Dechant Wolfgang Picken (M) geht am 21.05.2016 in der Marienkirche in Bonn mit dem Weihrauchkessel am Sarg von Niklas P. vorbei. Im Stadtteil Bad Godesberg fand die Trauerfeier für den nach einer Prügelattacke in Bonn gestorbenen Niklas P. statt. Foto: Henning Kaiser/dpa |
Dechant Wolfgang Picken (M.) am Sarg von Niklas
Quelle: picture alliance / dpa
Dann geschah etwas, dass für einige Empörung sorgte. Die Staatsanwaltschaft Bonn schwächte im Spätsommer vergangenen Jahres den Tatvorwurf ab: Es kam nun nicht mehr Totschlag mit bedingtem Tötungsvorsatz in Betracht, sondern Körperverletzung mit Todesfolge. Bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung kam heraus, dass Blutgefäße im Gehirn von Niklas vorgeschädigt gewesen waren und offenbar bereits der Faustschlag zum Tod geführt habe.

„Für mich ist es Mord“, hieß es im Internet

Es gab demnach keine Hinweise darauf, dass er mit großer Wucht ausgeführt wurde. Die Staatsanwaltschaft sah keine Anhaltspunkte dafür, dass Walid S. Faustschlag und Tritt in tödlicher Absicht ausgeführt habe. Die juristische Sichtweise deckt sich nicht mit dem Empfinden in der Bevölkerung. „Warum kein Totschlag??? Mir fehlen die Worte. FAKT IST, dass er noch leben würde wenn der Schlag nicht passiert wäre!!! Für mich ist es MORD!!!“, hat eine Frau kurz vor dem Prozess auf einer Facebook-Gedenkseite für Niklas geschrieben.
Ein Kreuz mit der Aufschrift «Niklas» und Kerzen stehen am 17.01.2017 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) an der Stelle, an der der später verstobene Niklas P. am 07.05.2016 von Schlägern attackiert wurde. Der Tod von Niklas traf nicht nur Bonn bis ins Mark. Der Schüler wurd nachts im Stadtteil Bad Godesberg auf der Straße so heftig geprügelt, dass er starb. Am 20.01.2017 beginnt der Prozess. (zu dpa KORR «Prozessbeginn im Fall Niklas: Die Wunden einer Nacht» vom 18.01.2017) Foto: Rolf Vennenbernd/dpa | Verwendung weltweit
Ein Kreuz mit der Aufschrift «Niklas» und Kerzen stehen an der Stelle, an der der später verstorbene Niklas P. angegriffen wurde
Quelle: picture alliance / Rolf Vennenbe
Dort sorgt auch der erste Prozesstag für Empörung, vor allem weil die Angeklagten die Tat abstreiten. Der Anwalt von Walid S. hat dazu eine kurze Erklärung vorbereitet, die er im Namen seines Mandanten vor Gericht verliest. Demnach bestreitet der Hauptangeklagte eine Tatbeteiligung. „Er ist weder in die Tathandlungen mit eingebunden gewesen, noch war er am Tatort“, sagte sein Verteidiger. Zur Tatzeit sei Walid S. mit seiner Freundin im Kurpark unterwegs gewesen, habe verschiedene Personen getroffen, erklärt der Verteidiger. Nur einmal habe er den Kurpark verlassen, um an einer Tankstelle etwas zu kaufen.

Der Zeuge muss sich „schlichtweg irren“, heißt es

Erst in den frühen Morgenstunden des 7. Mai habe Walid S. den Kurpark verlassen. Der von der Staatsanwaltschaft benannte Belastungszeuge müsse sich „schlichtweg irren“. Die Jacke mit Niklas‘ DNA-Spuren habe Walid S. erst nach dem Tatgeschehen erhalten. Der Mitangeklagte Roman W. schweigt zum Tatvorwurf bezüglich Niklas. Er bereut nach Darstellung seines Verteidigers, dass er den Belastungszeugen geschlagen habe, und werde im weiteren Prozessverlauf schweigen.
Der Prozess wird in der nächsten Woche fortgesetzt. 16 Verhandlungstage sind angesetzt. Das Gericht will etwa 50 Zeugen vernehmen. Ein Urteil könnte Ende März fallen.

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